Zuckererzeugung, Marktstruktur und Agrarpolitik in Österreich-Ungarn ab 1864

Franz Sinabell

Nikolaus Fink hat als Teil einer Dissertation eine Studie zur  Zuckerindustrie in Österreich-Ungarn vorgelegt. Die Bildung, Verbesserung und Anpassung eines Kartells an sich verändernde Rahmenbedingungen wird über einen langen Zeitraum nachgezeichnet. In dieser industrieökonomischen Untersuchung wird eine einzigartige  Kombination von Hintergrundinformation und quantitativen Belegen vorgelegt. Manche Schritte, die vor über 150 Jahren gesetzt wurden, haben bis heute deutliche Spuren in der Organisation des Zuckermarktes hinterlassen.
Zuckererzeuger scheiterten zunächst mit Kartellversuchen in 1864, 1873/74 sowie 1884/86. Mit der Einführung einer Mengensteuer auf Zucker und der exakten Messung der Produktion jeder einzelnen Fabrik gelang es schließlich ab 1891, erfolgreiche Quotenkartelle zu bilden. In den Folgejahren wurden Schwächen schrittweise verbessert und das Kartell wurde trotz verstärkter Anreize, von der Vereinbarung abzuweichen, aufrechterhalten. Nur Markteintritte im Jahr 1894 sowie die massive Reduktion des Importschutzes 1903 führten zu kurzen Zusammenbrüchen. Die im Kartell versammelten Akteure lernten mit der Zeit, nicht nur  Jahres-, sondern auch Monatsquoten zu fixieren, die vorgelagerten Rohzuckerfabriken zu integrieren, den Verkauf zu zentralisieren sowie Außenseiter und Importe mit rückwirkenden Exklusivitätsrabatten zu unterdrücken.

Die Abfolge der Ereignisse zeigt die Interaktion der Industrie und der  Regierung. Eine Mengensteuer verhalf dem Staat zu sicheren und stetig steigenden Steuereinnahmen während die Industrie erst aufgrund der exakten Kontrolle der Verkaufsmengen ein Kartell bilden konnte. Ein Kartellgesetzentwurf wurde abgewehrt, eine staatliche Regulierung ähnlich dem Kartell wurde nur von außen - durch die Brüsseler Konvention - verhindert. Das Kartell lobbiierte sowohl bei den Medien als auch bei der Regierung, um eine duldende oder sogar förderliche Haltung gegenüber dem Kartell zu erreichen. So wurde auch der Verkauf des Zuckerersatzes Saccharin behindert.
Für die empirische Arbeit wurden Preise der Warenbörse sowie die monatlichen Verkaufsmengen von Zucker, die beim Verlassen der Raffinerien gemessen und besteuert wurden, verwendet. Eine Zerlegung in einen Trend, eine saisonale und eine verbleibende Komponente ermöglicht eine Abschätzung des laufenden Konsums sowie der Lagerhaltung aus Saison- und Vorzieheffekten heraus. Die geschätzte Nachfrage ist inelastisch und die geschätzte Preissetzungsmacht wird zu der jeweiligen Organisationsstufe des Kartells in Verbindung gesetzt. Relativ zu der nicht beeinflussbaren Importmöglichkeit verbesserte das Kartell den Preisaufschlag bei jeder Veränderung - auch wenn absolut der Aufschlag vor 1903 aufgrund des hohen Importschutzes ein Maximum erreichte.

Nikolaus Fink, Formation and Adaptation of the Sugar Cartel in Austria–HungaryWIFO Working Papers, 2016, (508), 57 Seiten

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