Symposium Bäuerliche Lebenswelten im Umbruch

Eva-Maria Griesbacher

Am Institut für Soziologie der Universität Graz wird derzeit ein Forschungsprojekt zu bäuerlichen Familienbetrieben durchgeführt, dessen ausgewählte Zwischenergebnisse im Rahmen des Symposiums „Bäuerliche Lebenswelten im Umbruch“ am 3. Dezember 2015 diskutiert und durch Beiträge von Experten und Expertinnen aus Wissenschaft und Praxis erweitert wurden.

Den Einstieg in die Veranstaltung machte Gerhard Hovorka von der Bundesanstalt für Bergbauernfragen in Wien mit der Darstellung der ökonomischen Situation der österreichischen Landwirtschaft sowie einer umfassenden Diskussion der Bedingungen für eine zukunftsfähige österreichische Landwirtschaft. Hovorka zeigte auf, dass sich die Einkommenssituation für Landwirtinnen und Landwirte in den letzten Jahren stark negativ entwickelt hat und vor allem für Bergbauern- und Nebenerwerbsbetriebe problematisch ist. Die österreichische Landwirtschaft weise, so Hovorka, einen hohen Anteil an Berglandwirtschaft, kleinen Betrieben und Nebenerwerbsbetrieben auf, wodurch die ungleiche Verteilung von Einkommen und Förderungen überdurchschnittlich stark ins Gewicht falle. Er schlug daher vor, die Zukunftsstrategie bäuerlicher Betriebe für Österreich multifunktional auszurichten und verstärkt auf biologischen Landbau, Qualitätsproduktion, Diversifizierung und lokale Produktkennzeichnung zu setzen. Darüber hinaus brauche es eine für den österreichischen Raum geeignete Gemeinsame Agrarpolitik (GAP), welche auf Partizipation und Nachhaltigkeit setze. Letztlich müsse auch die Wissenschaft ihren neoliberalen Blick auf bäuerliche Betriebe überdenken und sich auf die Suche nach adäquateren Theorien machen. Kommentiert wurde der Beitrag Hovorkas von Fritz Stocker, dem Leiter der Abteilung Betriebswirtschaft der Landwirtschaftskammer Steiermark, welcher sich der Beurteilung der problematischen Einkommenssituation der in der österreichischen Landwirtschaft Tätigen anschloss. Stocker betonte, dass die Bauern und Bäuerinnen zu niedrige Stundenlöhne erzielen und für ihre Arbeit nicht fair bezahlt werden. Daraus erwachse für sie ein zunehmender Druck, ihre Einkünfte durch Neben- und Zuerwerb zu erhöhen, was jedoch durch die mangelnde Infrastruktur im ländlichen Raum erschwert wird. Stocker plädierte dafür, dass die Gewinnspannen des Handels zugunsten der Bauern und Bäuerinnen reduziert werden und dass ein Umdenken in der Bevölkerung weg von immer billigeren Nahrungsmitteln hin zu Qualitätsprodukten forciert werden sollte. Darüber hinaus müsse die ländliche Infrastruktur erhalten und ausgebaut werden, da davon auszugehen sei, dass der Trend zu Zu- und Nebenerwerb anhalten werde.

Im zweiten Beitrag präsentierten Anja Eder und Sabine Haring Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt zum Wandel bäuerlicher Familien in den vergangenen Jahrzehnten. Sie stellten dabei fest, dass sich die bäuerliche Familie in dieser Zeit tendenziell von der traditionellen über die moderne hin zur postmodernen Familie entwickelt habe, wobei all diese Familienformen auch heute noch in Teilen nebeneinander existieren. Jedoch habe, so Eder und Haring, der Anteil traditioneller Familien abgenommen, während die Zahl moderner und postmoderner Familien beständig zugenommen hat. Der Anteil der als postmodern bezeichneten Familien im bäuerlichen Milieu sei weiterhin geringer als in der Gesamtbevölkerung. Ebenso spielen postmoderne Werte – wie Selbstentfaltungs- und Selbstverwirklichungswerte – im bäuerlichen Milieu, wie Eder betonte, eine geringere Rolle. Sabine Haring veranschaulichte anschließend anhand ausgewählter qualitativer Interviews die Merkmale der unterschiedlichen Familientypen. Für traditionelle bäuerliche Familientypen stellte sie eine grundsätzlich patriarchale Großfamilienstruktur und eine starke Präferenz für die patri-lineare Hofnachfolge fest. Des Weiteren herrschten zwischen den verschwägerten Familienmitgliedern eher distanzierte Beziehungen. Kindererziehung und Freizeitwünsche werden eindeutig den Belangen der Arbeit untergeordnet. Die moderne bäuerliche Familie hingegen sei  gekennzeichnet durch emotionale Beziehungen in der Kernfamilie, obwohl die Beziehungen zu den Schwiegereltern weiterhin kühl sein können. Eine räumliche Trennung zwischen Alt- und Jungbauern werde, so Haring, zunehmend wichtiger. Die Kinder werden nur mäßig in die Arbeitsprozesse am Hof einbezogen, der Fokus liege auf ihrer schulischen Ausbildung. Freizeit spiele auch für diesen Familientypus nur eine untergeordnete Rolle, etwas Freizeit für sich zu beanspruchen, sei aber, wie Haring festhält, durchaus legitim. Die vorgefundenen postmodernen bäuerlichen Familien seien, welche durch ein egalitäres Partnerschaftsverständnis und das „Halbe-Halbe-Prinzip“ in der geschlechtlichen Arbeitsteilung sowie durch Betonung des Freiraumes und eigener Aufgabengebiete einzelner Familienmitglieder gekennzeichnet. Die Generationenbeziehungen können hier entspannt sein, da eine räumliche Trennung der Generationen für sehr wichtig erachtet wird. Der Betrieb diene nicht nur der Arbeit, sondern auch der eigenen Erholung.

Kommentiert wurde der Beitrag von Eder und Haring von Johanna Muckenhuber vom Institut für Soziologie der Universität Graz. Sie betonte, dass bei der Bildung von Familientypologien für Familienbetriebe der „hinterlegte“ Arbeitsbegriff reflektiert werden sollte, da erst dann Unterschiede in der geschlechtlichen Arbeitsteilung v.a. auch in Hinblick auf Tätigkeiten im Rahmen der Subsistenzwirtschaft im Gegensatz zur Marktproduktion hervortreten würden. Des Weiteren schlug Muckenhuber vor, den Umfang der Arbeitsaufgaben im Geschlechterverhältnis näher zu betrachten sowie die historische Dimension von Erwerbschancen stärker herauszuarbeiten. So unterstrich sie, dass sich im Laufe der Zeit die Rollen und die Bildung der einzelnen Familienmitglieder veränderten, woraus sich zumindest theoretisch auch veränderte Erwerbsmöglichkeiten für die Familienmitglieder ergäben. Letztlich dürfe auch auf die Veränderungen außerfamiliärer Bezugssysteme im ländlichen Raum, die Betrachtung intergenerationaler Aushandlungsprozesse und Paar-Verhandlungen sowie auf die Frage der Intergenerationenbeziehungen in Bezug auf die Kindererziehung nicht vergessen werden.

Während der Kaffeepause präsentierten Studierende der soziologischen Forschungswerkstatt „Ländliche Lebenswelten im Wandel“ auf Postern Ergebnisse ihrer empirischen Erhebungen zu den Themen „Betriebsschließung bäuerlicher Betriebe“, „Selbst- und Fremdbild von Bauern“ sowie „Landflucht von Bauernkindern“.

Im dritten Beitrag sprach Andreas Strempfl von der Sozialversicherungsanstalt der Bauern über die Ursachen, das Ausmaß und die Bewältigungsstrategien von Stress in bäuerlichen Familien. Eine von ihm durchgeführte Untersuchung zeigte bei 50% der befragten Landwirte und Landwirtinnen ein mittleres, bei 10% sogar ein hohes Stressniveau. Besonders belastend empfinden die Befragten den hohen Verantwortungsdruck, Zeitnot, Termindruck und Arbeitsspitzen. Des Weiteren belasten sie Wetterabhängigkeit, lange Arbeitszeiten, die behördlichen Auflagen sowie wenig Freizeit. Gehörte körperliche Belastung vor einigen Jahrzehnten noch zu den höchsten Belastungen in bäuerlichen Familien, so nehme diese, wie Strempfl festhielt, in der Rangordnung der Belastungsfaktoren heute nur noch Platz 10 ein. Mit Hilfe von Bluttests konnte Strempfl nachweisen, dass das Stressniveau insbesondere bei jenen Bauern und Bäuerinnen hoch ist, die aufgrund dauerhafter oder längerdauernder Verdichtung der Arbeitsintensität (z.B. durch die andauernde Anwesenheit von Gästen während der Tourismussaison) nicht genügend Erholungsmöglichkeiten zur Verfügung haben. Gestresste Bäuerinnen und Bauern haben zudem ein höheres Unfallrisiko als jene, die ausreichend Möglichkeiten zur Erholung bekommen. Angesichts dieser Ergebnisse plädierte er für ein Überdenken und Ergänzen bestehender Beratungsinstrumente, um Bauern und Bäuerinnen dabei zu unterstützen, den steigenden Druck, der durch die Bedingungen am Agrarmarkt auf sie ausgeübt werde, durch die Stärkung der eigenen körperlichen und geistigen Ressourcen besser zu bewältigen. Maria Pein, Vizepräsidentin der Landwirtschaftskammer Steiermark, verband in ihrem Kommentar die Frage von Stress und Überlastung mit der Frage der Hofnachfolge. Sie schätzte vor allem die betriebliche Belastung von Frauen auf bäuerlichen Familienbetrieben als sehr hoch ein. Aus der Überlastung ergebe sich jedoch Unzufriedenheit mit der beruflichen Situation, welche auch die Kinder spürten. Dies könne sich nachteilig auf die Bereitschaft der potentiellen HofnachfolgerInnen auswirken, den Hof zu übernehmen.

Im abschließenden Beitrag erörterten Eva-Maria Griesbacher und Franz Höllinger vom Projektteam der Universität Graz die Frage der Hofnachfolge und der Zukunftsperspektiven bäuerlicher Familienbetriebe. In der Befragung von 236 österreichischen Bauern und Bäuerinnen zeigte sich laut Griesbacher, dass gut 50% der untersuchten Betriebe bereits eine/n Hofnachfolger/in bestimmt haben oder bereits jemanden in Aussicht haben. Meist handelt es sich dabei um einen Sohn. Töchter werden in der Regel nur dann als potentielle HofnachfolgerInnen in Erwägung gezogen, wenn es keinen männlichen Nachwuchs gibt. Größere Betriebe und Betriebe mit einer positiven wirtschaftlichen Zukunftsperspektive haben häufiger bereits einen Hofnachfolger/in bestimmt als kleine Betriebe und Betriebe, deren wirtschaftliche Entwicklung negativ eingestuft wird. Eine nicht adäquate Partnerwahl des/r potentiellen Hofnachfolgers/in sowie eine außerlandwirtschaftliche Ausbildungsentscheidung der Kinder können, wie Griesbacher unterstricht,  ebenfalls die Hofnachfolge erschweren. In Betrieben, die von Frauen geführt werden, werde die Frage nach der Hofnachfolge wesentlich früher gestellt als in von Männern geführten Betrieben. Dies sei insofern von Bedeutung, als es bei der Frage der Hofnachfolge nicht nur um eine Entscheidung gehe, die von der aktuellen Betriebsführung zu einem bestimmten Zeitpunkt getroffen wird, sondern um einen langfristigen Prozess des Loslassens der BetriebsführerInnen und des Hineinwachsens der Hofnachfolgerinnen in ihre neue Aufgabe. Erfahren Kinder eine positive Hofsozialisation und werden für sie eigene Arbeitsbereiche eingerichtet, so gelinge der Prozess der Hofnachfolge eher als in Familien mit belasteten intergenerationalen Beziehungen oder beengten Wohnverhältnissen. Höllinger stellte die Ausführungen zur Hofnachfolge in den weiteren Kontext der Frage nach der Berufszufriedenheit und der wirtschaftlichen Zukunftsperspektiven dieser Berufsgruppe. Er hielt dabei fest, dass Bauern und Bäuerinnen insgesamt sehr zufrieden mit ihrem Berufsleben sind. Besonders schätzen sie an ihrem Beruf die Naturverbundenheit, die Herstellung gesunder Lebensmittel und die hohe Selbstständigkeit und zeitliche Ungebundenheit im Arbeitsalltag. Als belastend hingegen beschreiben sie die wachsende Bürokratie und Schreibtischarbeit, die wirtschaftliche Unsicherheit und die Abhängigkeit von Förderungen. Die Berufszufriedenheit sei bei jenen höher, die Direktvermarktung betreiben oder ein anderes betriebliches Zusatzeinkommen haben, sowie bei jenen, die bei guter subjektiver Gesundheit sind und sich als „selbstwirksam“ wahrnehmen. Insgesamt schätzen etwa 50% der Befragten auf den untersuchten Höfen ihre ökonomische Lage gut ein und haben eine gesicherte Hofnachfolge. Es ist demnach sehr wahrscheinlich, dass diese Betriebe weiterhin bestehen bleiben werden. Etwa 20% der untersuchten Betriebe werden vermutlich aufgrund der schlechten ökonomischen Bedingungen und/oder weil keine Kinder vorhanden sind in der nächsten Generation nicht weitergeführt oder verpachtet. Georg Wiesinger von der Bundesanstalt für Bergbauernfragen Wien verwies in seinem Kommentar auf die Ähnlichkeit der Ergebnisse der Grazer Studie mit früheren Studien zum Thema Hofnachfolge im deutschsprachigen Raum und auf die Wichtigkeit, den Bauern und die Bäuerin dabei als Homo Sociologicus, nicht als Homo Oeconomicus zu begreifen. Er stellte jedoch fest, dass die Studien nur zum Teil vergleichbar seien, weil sich zum Beispiel die Pensionsregelungen in Österreich, Deutschland und der Schweiz stark voneinander unterscheiden. In Bezug auf den Prozess der Hofnachfolge merkte er an, dass es besonders wichtig sei, einen Blick auf die Diffusion der Rollen von der einen auf die nächste Generation zu werfen und die Rolle von Macht und Autorität in diesem Übergangsprozess zu untersuchen. Des Weiteren sei im Rahmen dieses Prozesses die Prägung des Habitus (im Sinne von Pierre Bourdieu) als potentielle/r HofnachfolgerIn und die damit verbundenen Deutungs- und Verhaltensmuster zu untersuchen. Letztlich sei auch zu beachten, dass innerfamiliäre Hofnachfolge nur eine von mehreren möglichen Formen der Weitergabe des bäuerlichen Betriebs darstelle. Weitere näher in den Blick zu nehmende Nachfolgeformen seien die außerfamiliäre Hofweitergabe und die Übernahme des Betriebs durch eine Personengemeinschaft.

Weitere Informationen: soziologie.uni-graz.at/de/forschen/fsp-2-international-vergleichende-und-historische-gesellschaftsanalyse/forschungsprojekte/perspektiven-fuer-baeuerliche-familien-in-oesterreich/

Kontakt: eva.griesbacher@uni-graz.at

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