Women and Migration in Rural Europe

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Women and Migration in Rural Europe:

Neues Buch thematisiert sich wandelnde Arbeits- und Lebenssituationen von Frauen in ländlichen Räumen Europas 

Im Kontext von globalen sozialen und ökonomischen Veränderungen sind ländliche Räume in Europa durch vielfältige Entwicklungschancen und Probleme gekennzeichnet. Während dünnbesiedelte, strukturschwache Regionen oft seit Jahrzehnten unter den Folgen der Abwanderung und des demographischen Wandels leiden, können andere Räume von übergreifenden Tertiärisierungsprozessen profitieren. Frauen agieren in diesen Kontexten auf unterschiedliche Weise und formen ländliche Entwicklungspfade entscheidend mit: während sich unter den Abwandernden aus strukturschwachen ländlichen Regionen besonders häufig gut ausgebildete junge Frauen befinden, wird andererseits deutlich, dass gerade Frauen durch ökonomisches und soziales Engagement den strukturellen Wandel des ländlichen Raumes entscheidend mitgestalten und prägen. Vor diesem Hintergrund beleuchtet das Buch „Women and Migration in Rural Europe: Labour markets, Representations and Policies“ Hintergründe von Wanderungsentscheidungen und Lebensbedingungen von Frauen im ländlichen Europa: Die Beträge beziehen sich sowohl auf die gesellschaftliche Konstruktion von Raumvorstellungen und Geschlechteridentitäten als auch auf materielle und funktionale Rahmenbedingungen. Dabei werden Strukturen ländlicher Arbeitsmärkte, Regionalentwicklungsstrategien und Repräsentationen von ländlichen Räumen unter Genderaspekten analysiert.

Der ersten Teil des Buches geht der Frage nach wie Frauen ländliche Räume wahrgenehmen und bewerten und welche Vorstellungen sie vom Leben in unterschiedlichen ländlichen Regionen Europas haben. Mireia Baylina, Maria Dolors Garcia-Ramon, Ana María Porto, Isabel Salamana und Montserrat Villarino beleuchten in diesem Zusammenhang warum sich viele hochqualifizierte Frauen in Spanien dazu entscheiden im ländlichen Raum zu bleiben bzw. warum sie dorthin zurückkehren. Sie zeigen Gegentrends zur Reurbanisierung auf, die im Kontext von Globalisierungsprozessen stehen und sich in wandelnden weiblichen Rollenbildern und Reinterpretationen von ländlichen Lebensentwürfen widerspiegeln. Gesine Tuitjer kann auf Grundlage von Tiefeninterviews mit jungen Frauen in ländlichen Gemeinden Westdeutschlands verdeutlichen, wie das raumbezogene Konstrukt des „ländlichen Idylls“ mit idealtypischen Vorstellungen von Familienleben und weiblichen Lebensmodellen verknüpft ist. Die ersten beiden Buchbeiträge setzen sich somit mit differenzierten weiblichen Lebensentwürfen auseinander, die – obwohl sie in einen sehr ungleichen sozialen und materiellen Kontext stehen – auf unterschiedliche Facetten eines ländlichen Idylls Bezug nehmen. Éva Fekete behandelt demgegenüber die Frage, welche Chancen der Übergang von einer modernen zu einer postmodernen Gesellschaft für ländliche Regionen eröffnet und inwieweit dies mit weiblichen Lebensprojekten zusammenhängt. Auf der Grundlage von empirischen Erhebungen in ungarischen und rumänischen Gemeinden kann sie geschlechtsspezifische Unterschiede in der Bedeutung gesellschaftlichen Werten wie Partizipation, Nachhaltigkeit und Identität feststellen, die auch die lokale Ökonomie beeinflussen. Nana Zarnekow und Christian Henning analysieren Bewertungen der Lebensqualität in suburbanen und ländlichen Gemeinden Polens als wesentliche Faktoren für die Erklärung von Wanderungsentscheidungen und -prozessen. Zwar lässt die Analyse einer standardisierten Haushaltbefragung keine signifikanten Unterschiede in der Bewertung der Lebensqualität zwischen Männern und Frauen erkennen, sie verdeutlicht aber die starke Dominanz der lokalen Arbeitsmarktbedingungen.

Arbeitsmärkte für junge Frauen und die Bedeutung von weiblichem Unternehmertum im ländlichen Raum sind dementsprechend auch Schwerpunkte des zweiten Teils des Readers. Ein besonderer Fokus liegt hier auf geschlechtsspezifischen Unterschieden im Zugang zu regionalen Arbeitsmärkten, auf den Potentialen von weiblichen Unternehmensgründungen sowie auf der Bedeutung der Kreativbranche für die Erwerbstätigkeit von Frauen im ländlichen Europa. Dass soziale Genossenschaften und Unternehmenscluster eine Möglichkeit darstellen können das Unternehmertum von Frauen in ländlichen Gemeinden zu stärken, zeigen Boguslaw Bembenkek,Teresa Piecuch und Joanna Sudol-Pusz anhand mehrerer Beispiele im ländlichen Polen. Kim Philip Schumacher und Alexander Kunz thematisieren das Wanderungsverhalten junger Männer und Frauen in der Nordwestdeutschen Region Wesermarsch mit Blick auf die vorherrschenden und wahrgenommenen Arbeitsmarktstrukturen. Sie zeigen, dass die Arbeitsplätze im sekundären Sektor von jungen Frauen kaum wahrgenommen werden und weisen damit auf die starken Zusammenhänge zwischen geschlechtsspezifischer Berufswahl und Migrationsentscheidungen hin. Während Susanne Schmidt analysiert, wie sich Frauen, die in kreativen Berufen beschäftigt sind, in eher ländlich und städtisch geprägten Räumen in Deutschland verteilen, setzt sich Ewa Rollnik-Sadwoska mit den Möglichkeiten, Schwierigkeiten und Chancen weiblichen Unternehmertums im Kontext der regionalen Wirtschaft im ländlichen Polen auseinander.

Einen stärker planungspolitisch ausgerichteten Ansatz verfolgte Verena Peer mit der Frage inwieweit die Dezentralisierung und Regionalisierung von Bildungseinrichtungen geeignet ist, um der Abwanderung junger hochqualifizierter Frauen im ländlichen Raum Österreichs entgegenzuwirken. Rosario Sampedro und Luis Camarero betonen die Bedeutung von Mobilitätszugängen für das Leben von Frauen im ländlichen Spanien. In ihrem Beitrag führen sie die Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt unter anderem auf den eingeschränkten Zugang zu Transportsystemen zurück, sowie auf die Tatsache, dass Frauen aufgrund ihrer Sozialisation oft die Hauptverantwortung gegenüber der Familie und der Betreuung ihrer Angehörigen übernehmen. Theresia Oedl-Wieser setzt sich kritisch mit der Bedeutung von Genderfragen in der österreichischen Regionalentwicklung auseinander. Im Mittelpunkt steht die Feststellung, dass es sich beim Thema Geschlechtergerechtigkeit bislang eher um eine „rhetorische Modernisierung“ handelt. Der Beitrag ist ein Plädoyer für eine stärkere Beteiligung von Frauen in politischen und planerischen Gremien und Entscheidungsprozessen um tatsächliche Veränderungen im Sinn von Geschlechtergerechtigkeit im ländlichen Raum herbeizuführen.

Grundsätzlich zeichnen die Beiträge auf der Grundlage unterschiedlicher theoretischer Konzepte und Methoden, ein differenziertes Bild von der Lebenssituation junger Frauen im ländlichen Europa. Dabei werden sowohl Vorstellungen von ländlichen Räumen als auch Geschlechterrollen als Produkte gesellschaftlicher Kommunikation hinterfragt. Durchgängige Themen sind sich auflösende Stadt-Land Unterschiede, Zusammenhänge zwischen gesellschaftlich kommunizierten Raumkonstrukten und individuellen Wanderungsentscheidungen sowie die kritische Auseinandersetzung mit der Bedeutung von „Ländlichkeit“ im Sinn eines sich wandelnden gesellschaftlichen Vorstellungsbildes. Das Buch wendet sich an eine internationale Leserschaft, Forscher und Praktiker gehören ebenso zu den Adressaten wie Studierende der Fächer Regionalentwicklung, Geographie, Raumplanung, Europa- und Regionalwissenschaften.

Karin Wiest: K_Wiest@ifl-leipzig.de

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